1. April 1933
War gerade bei meinem Chefredakteur Henri. Der Aufsichtsrat der NGS hat sich zur Expedition noch nicht abschließend geäußert. Aber mein Chefredakteur Henri will natürlich weiter darüber berichten. Möglichst mehr persönliches … Also, ich bleib dran.
Und ansonsten habe ich einen netten kleinen Auftrag: Er schickt mich als Vertreterin des NG in die Jury eines Kunstwettbewerbs des Salmagundi Club. Der richtet eine Ausstellung/ Wettbewerb mit jungen Künstlern aus und will wohl wieder etwas ins Bewusstsein der Stadt rücken. Haben jedenfalls mehrere namhafte Vertreter NYs in die Jury geladen. Darunter Malcolm Smithers (Privatbanker) plus Ehefrau Penelope, Constantin O’Shears – der darf als geschwätziger Kunstkolumnist (Arkham Advertiser) natürlich nicht fehlen, die Künstler Lydia Gustavson und Robert Glears und eine Psychologin namens Liechtenstein. Morgen mittag findet das erste Treffen statt. Danach treffe ich mich endlich mit Mia auf den längst überfälligen Tee im Central Park.
2. April 1933
Das war einer der verrücktesten Tage meines Lebens … oder aber ich bin nicht ganz bei Sinnen …
Angefangen hat es im Salmagundi Club. Das erste ungewöhnliche Ereignis des Tages: die Mafia scheint sich aus irgendeinem (mir noch nicht erkenntlichen) Grund für den Wettbewerb zu interessieren. Jedenfalls tauchte ein riesiger, nadelgestreifter Toni Marcone auf und ist nun auch Jurymitglied. Und für mich auch überraschend, scheint er ein begeisterter Leser des National Geographic zu sein und war wohl daher vertraut mit meinen Namen. Ansonsten verlief das Treffen dort erwartungsgemäß und mit jeder Menge Smalltalk.
Toni hat mich dann beim Gehen abgefangen und in den Central Park begleitet. Stellte sich heraus, dass er nicht nur den Stalkweather-Artikel gelesen hatte, sondern darüber hinaus höchstpersönlich an der Expedition teilnehmen wird. Unfassbar! – aber ich würde sagen, Henri bekommt seine persönlichen Eindrücke in die Expedition. Haben uns für nächste Woche zu einem ausführlicheren Gespräch verabredet.
Im Central Park passierte dann etwas, von dem ich mir nicht sicher bin, wie viel Zufall sein kann oder Einbildung, aber wir haben es ja beide erlebt: unsere Aufmerksamkeit wurde auf einen alten Geigenspieler gezogen, genaugenommen habe ich den Eindruck, dass wir von ihm angezogen wurden … und nicht nur wir. Es bildete sich eine Traube von Menschen um ihn – ein über die Maßen verzauberndes Geigenspiel! Es war, als würde es mich ganz und gar ausfüllen und in seinen Bann ziehen. Die Blätter der Bäume ringsum erzittern. Ein Ast knickte ab und aus dem Augenwinkel sah ich wie einem der Zuhörer ein Blutrinnsal aus dem Auge und das Gesicht hinunterlief … in einem Hochhaus weiter hinten bildete sich ein Riss, die ganze Erde bebte …. Ich wollte davonlaufen, konnte mich aber nicht lösen. Toni hob mich hoch, wollte uns beide wegbringen, hatte aber offensichtlich auch große Mühe sich zu bewegen … Bis plötzlich ein sehr vornehm gekleideter Schwarzer schnellen Schrittes auf den Alten zuging, ihm die Geige entriss und sie zerbrach. Der Musikant fiel zu Boden, der Schwarze verschwand. Der Bann schien gebrochen. Toni hechtete dem Schwarzen hinterher. Ich kniete mich zum Alten – er starb vor meinen Augen. Ich durchwühlte seinen Taschen solange mich noch keiner der anderen Umstehenden groß beachtete. Seine Schlüssel ließ ich in meiner Tasche verschwinden, merkte mir die Adresse von seinen Papieren – sein Name war Pavel Woyczek, ließ sie aber mitsamt einer ganzen Menge an Geld bei ihm liegen. Ich skizzierte die Szenerie. Auf der Rückseite der Geigenstücke fand ich ein paar außergewöhnliche Hieroglyphen und einen afrikanisch aussehenden Pharaoh-Kopf…
Toni hatte den Kerl nicht erwischt, der schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Ein paar schnelle Entscheidungen getroffen: natürlich die Redaktion benachrichtigt, sie sollten jemanden schicken, der Fotos machte etc. Dann machten wir uns auf den Weg zur Adresse des Geigers. Denn sowohl Toni als auch ich zweifelten fast am soeben Erlebte, aber gut wir waren zu zweit und wir mussten mehr darüber herausfinden.
In Pavels Wohnung in Hell’s Kitchen fanden wir:
Einen Zettel mit einer Telefonnummer (ohne Namen) in einer Manteltasche im Schrank.
In einer Kammer hinter der Küche waren sämtliche Wände mit Zeitungsartikeln übersät, die sich offenbar immer um dieselben Personen drehten. Haben sie eingepackt und ich habe sie zur Auswertung meinem Assistenten Steve Gohouri gegeben.
Ansonsten den Eindruck, dass er es sich wohl ausgesucht hatte hier, in einer der ärmsten Löcher zu wohnen, nötig hatte er es wohl nicht.
Die Befragung der Nachbarn ergab nicht viel: schien ein zurückhaltender, hilfsbereiter Zeitgenosse gewesen zu sein. Einzig für ein wenig Aufsehen gesorgt, hatte das gelegentliche Auftauchen eines Rolls Royce, der ihn abholte und der geheimnisvolle Schwarze war zumindest auch einmal hier gewesen.
3. April 1933
In den Zeitungen wird zwar in kleinen Meldungen über den Tod Pavels (Herzschlag) berichtet, aber über nichts außergewöhnliches in dem Zusammenhang, der Rest wird auf ein kleines Beben zurückgeführt, auch der Officer Jeremy McGuirre, mit dem ich telefoniere findet nichts besonderes an dem Fall.
4. April 1933
Heute Mittagessen mit Toni, haben uns die Recherchearbeiten aufgeteilt und dann über die Expedition und sein Interesse daran gesprochen. Stellt sich heraus, dass er damals einen Blick auf die Fundstücke der … Expedition werfen konnte – Ist wohl „irgendwas schief gelaufen mit der korrekten Zustellung im Hafen“ damals – da muss ich unbedingt noch mehr aus ihm rauskriegen, tut sich etwas schwer damit …
Verrückt, ist ja nur noch ein kleiner Teil der Ausstellung zu sehen, fast alles ist unter Verschluss …
Was wir danach herausgefunden haben:
1. Namen aus den Zeitungsschnipseln + von Toni und Ilse dazu Recherchiertes:
Porter (Coney Island): Toni recherchiert
Timothy Treherne †: gestorben am 03.01.1913 während einer Überfahrt der AMS Alberta von NY nach Southhampton; Earl of Fairbanks, aktiv im Essex Sportsman’s Club, Toni hat den Kapitän von damals ausfindig gemacht, einen gewissen Lars Jacobson. Besuch steht noch aus …
Sam Richester †: Börsenmakler (vermehrt Ausschnitte aus Handelsblättern), Tonis Gespräch mit dem Capo von Al Mineo (vorher D’Aquila – Familie) ergab: R. war Schuldner und wurde von Mineo umgebracht – lieh sich 1928 ne Menge Geld (als erfolgreicher Börsenmakler), dann kam der Crash von 1929…
Sylvia Atanascio: Berühmte Opernsängerin. Ilse hat einen Interviewtermin am 08.04., Toni will sie begleiten
Carlos Odinga (oder Santoz): Gründer des „Harlem Correctional Institute for Misguided Youth”, was gleichzeitig auch ein Hort der Bürgerbewegung ist. Ilse ist gerade bei einem Besuchstermin vor Ort, vielleicht kann man darüber nen Artikel schreiben… Odinga selbst scheint nicht anwesend zu sein, der verantwortliche Pater ist gesprächig, aber irgendwas scheint faul, über Odinga sagt er nicht viel, außer, dass er ihnen vor Ort freie Hand lässt und mehr als Schirmherr fungiert; ein Jugendlicher zeigt ihr das Gelände, ist schwer mit ihm ins Reden zu kommen, insgesamt wirken die Jugendlichen allesamt etwas eingeschüchtert, bestenfalls übervorsichtig. Toni hat herausgefunden das Odinga zu den Leuten von Dutch Schultz gehört.
2. Erdbeben in NY
Ilses Assistent beschafft ihr eine Übersicht über die Erdbeben der jüngeren Vergangenheit in NY, vielleicht gab es ja andere merkwürdige Begebenheiten wie diese…
stellt sich heraus dass Ilses Assistent seine Abschlussarbeit über Plattentektonik geschrieben hat.
3. die Telefonnummer
gehört einem Matschewscy, wiederum ein enger Freund Pavels, (eine Art Ziehsohn?), Toni hat ihn aufgesucht, er sehr redselig, hat ne Menge über Pavel Woyczek erzählt, ergänzt durch ein paar Infos die Ilse noch bei einem Essen mit Constantin O’Shears bekam:
Einreise Pavels ca. 1910/11
Hatte so ein paar alte Kontakte, mit denen er sich noch regelmäßig traf, darunter auch die Opernsängerin, ihr gehörte auch der von den Nachbarn gesehene Rolls Royce.
P. besaß mehrere eigene Theater in der Stadt, ergo hatte er keine Geldsorgen und sich seinen Lebensstil so wie er war ausgesucht.
War zwar ein begnadeter Geigenspieler und auch mal auf Tour, aber der Durchbruch kam nicht.
War in schlechter Verfassung in den letzten Wochen und Monaten und hatte seinen Tod angekündigt, kam ein paar Tage zuvor vorbei und hat sich quasi verabschiedet: „Wir sehen uns nicht wieder.“
„war auch mal im Museum“, hatte wohl auch Interesse an Hieroglyphen usw.
Toni ist zur Trauerfeier eingeladen.
Vermutung unsererseits: die „alte Clique“ hat sich vielleicht bei der Einreise auf dem Schiff kennengelernt?
4. Hieroglyphen + unzugänglicher Teil der Ausstellung
Ilse will mehr über die Hieroglyphen herausfinden, kontaktiert dazu einen alten Professor (Charles Dwayne Wilson), der die z.Z. gastierende Ausstellung betreut. Er wird für sie Kontakte zu Kollegen herstellen wg. Zugang zum verschlossenen Teil der Ausstellung in Arkham, sie lässt ihm Belegexemplare des NG zukommen.